Die Frage nach dem „Warum Arabisch“ habe ich in Teil 1 schon gestreift. Mindestens genauso oft werde ich gefragt, „Wie hast du Arabisch gelernt?“, und „ist das überhauppt möglich, als Deutscher perfekt Arabisch zu sprechen?“ Darüber und mehr in diesem zweiten Teil.
Intensives Sprachtraining in Leipzig
Aus dem Südwesten Deutschlands kommend, verschlug es mich im Herbst 2005 zum Studium ins schöne Leipzig. Zusammen mit sage und schreibe 120 Erstsemestern saß ich kurz darauf in meiner ersten Arabisch-Vorlesung bei Prof. Schulz, die wegen des großen Andrangs in einem Hörsaal der medizinischen Fakultät stattfinden musste. Ich hatte das große Glück, mir mit dem Orientalischen Institut der Universität Leipzig einen Studienort gewählt zu haben, an dem großer Wert auf eine gründliche und aktive Sprachausbildung gelegt wurde. Wenn man das ernst nahm – und das tat ich, denn ich wollte die Sprache, wenn schon, dann richtig lernen – hieß das: lernen, lernen und nochmals lernen.
Erste Durststrecke
Schon nach wenigen Wochen war mein kleiner Vorsprung durch Lehrbuch und VHS-Kurs dahin. Nach kurzer Zeit wurden einfache Dinge wie Artikel, Genus und Nominalsätze behandelt. Bald ging es um Wortstämme, Wurzelsysteme, gebrochene Pluralformen, suffigierte Personalpronomen, Diptota etc. Endlose Tabellen erweiterter Verbalstämme regulärer und schwacher Verben wurden gelernt und abgefragt. Das war kein Zuckerschlecken und einige hatten sich das wohl anders vorgestellt, denn die Reihen der Mitstudierenden lichteten sich zunehmend. Aber nach der ersten Durststrecke machte es auch viel Spaß, immer tiefer in die unbekannte Sprachwelt einzudringen.
Je weiter man kommt, desto einfacher …
Meine persönliche Erfahrung beim Arabischlernen: Je weiter man kommt, desto einfacher wird es. Beispiel Vokabellernen: Da Arabisch als semitische Sprache einen völlig anderen Wortschatz hat, kann man bei neuen Wörtern so gut wie nie von anderen Sprachen auf die Bedeutung eines Wortes schließen. Außerdem ist Arabisch relativ resistent gegenüber Fremdwörtern. Als Anfänger muss man sich daher ein ganz neues Gefühl für Wortarten und lexikalische Zusammenhänge aneignen. Dies fällt wesentlich leichter, wenn man die Grammatik einigermaßen verstanden und sich einen Grundwortschatz angeeignet hat.
Dabei ist es unerlässlich, sich ständig mit der Sprache zu umgeben, in sie einzutauchen. Tägliches Vokabeltraining, Joggen mit Lehrbuchaudios auf den Ohren und intensives Grammatikstudium gehörten daher ebenso zum Alltag wie gemeinsame arabische Scrabble- und Filmabende, später auch arabische Romane, Hörspiele, Podcasts. Und natürlich war der Spracherwerb nur die Grundlage für das eigentliche Studium: Arabische Literatur, Poesie, politische Rhetorik, islamisches Recht und Sozialgeographie der arabischen Welt waren neben Politikwissenschaft die Themen meines Studiums.
Konferenzdolmetschen und Fachübersetzen
Neben dem eigentlichen Studium standen uns die intensiven Trainings- und Übungseinheiten der parallel laufenden Studiengänge Konferenzdolmetschen und Fachübersetzen offen: Wir dolmetschten politische Reden simultan und konsekutiv – besonders spannend während der Umbrüche des Arabischen Frühlings -, übten uns im bilateralen Gesprächsdolmetschen, besprachen typische Übersetzungsprobleme im Arabischen, lernten den Umgang mit CAT-Tools und vieles mehr. Von dieser Ausbildung habe ich enorm profitiert und konnte später darauf aufbauen, als ich den Masterstudiengang Konferenzdolmetschen Arabisch und die staatliche Übersetzerprüfung absolvierte.
Unterwegs in der arabischen Welt
Bildquelle: Daniel Falk
Nach dem Grundstudium nutzte ich die vorlesungsfreien Zeiten für zahlreiche Reisen und Sprachaufenthalte in verschiedenen Ländern der arabischen Welt: Sprachkurse führten mich nach Marokko, Ägypten und in den Oman, ein Austauschprojekt mit arabischen Studierenden nach Jordanien, eigene Rucksackreisen in den Libanon und nach Syrien. Besonders intensiv waren die Reisen, bei denen ich allein unterwegs war und schnell Kontakt zu den Menschen und der Sprache vor Ort fand: Zum Beispiel auf langen Zugfahrten zwischen Kairo und Assuan, im Sammeltaxi durch die libanesische Bekaa-Ebene oder im Fernbus durch Syrien.
Auch wenn das unbeschwerte Reisen und Erkunden gegen Ende meines Studiums immer schwieriger wurde, als sich im Zuge des arabischen Frühlings die Situation vor Ort, z. B. in Ägypten oder Syrien, veränderte, gab es immer noch genügend Möglichkeiten, die Sprache weiter zu üben. Über Al Jazeera und andere Kanäle konnten wir von Leipzig aus die Revolutionen und Umstürze fast live mitverfolgen, im Seminar die Ereignisse analysieren oder in der Kabine wichtige Reden simultan dolmetschen. Außerdem hatte ich mir bei meinen Streifzügen durch arabische Buchläden bereits einen kleinen Vorrat an arabischen Romanen zugelegt, mit deren Hilfe ich in arabische Lebenswelten und Geschichten eintauchen konnte.
Hocharabisch und die Dialekte
Meine Reisen waren immer auch eine Konfrontation mit der komplexen arabischen Sprachrealität, mit der Diglossie-Situation, meiner Meinung nach die größte Herausforderung beim Arabischlernen. Unsere Sprachausbildung in Leipzig konzentrierte sich zunächst ausschließlich auf das Hocharabische: Wir sollten zuerst die Hochsprache gut beherrschen, bevor wir später einen Dialekt lernten. Dank des intensiven Konversationstrainings auf Hocharabisch konnte ich mich vor Ort tatsächlich gut verständigen. Hocharabisch genießt bei vielen arabischen Muttersprachlern ein hohes Ansehen als Sprache der Bildung und der Religion. Es macht Eindruck, wenn man dieses Register auch mündlich gut beherrscht.
Andererseits wirkt man mit der Hochsprache in informellen Alltagssituationen schnell etwas deplatziert und fällt auf. Aus diesem Grund sind die gesprochenen Dialekte ein fester Bestandteil des Arabischlernens. Ich habe mir zunächst Grundkenntnisse in den Dialekten Ägyptens und Syriens angeeignet, später auch in den Dialekten der Golfstaaten. Heute habe ich wohl die größte Sprachpraxis im syrischen Dialekt und werde bei meinen Dolmetscheinsätzen von arabischen Muttersprachlern meist für einen Syrer gehalten (und von Syrern für einen Syrer aus einer anderen Region Syriens).
Forschung am Persischen Golf
Bildquelle: Daniel Falk
Nachdem Syrien und eine Zeit lang auch Ägypten als Reiseziele ausfielen, wandte ich mich einer anderen arabischen Region zu: der arabischen Halbinsel. Zwei Forschungsstipendien für meine Magisterarbeit und später für meine Promotion ermöglichten es mir, längere Zeit in Abu Dhabi und Dubai in den Vereinigten Arabischen Emiraten zu verbringen. Es war keine Liebe auf den ersten Blick und ich hatte zunächst meine Schwierigkeiten mit der Region: Der Kontrast zu meinen bisherigen Reisen hätte nicht größer sein können, als ich mich nun zwischen wohltemperierten Shopping Malls, Hochhausschluchten und Luxusresorts in einer völlig anderen Welt wiederzufinden schien.
Anfangs habe ich mich auch gefragt, was ich als Arabist in einem Land verloren habe, in dem man von der einheimischen Bevölkerung kaum etwas mitbekommt, von Arabisch als Sprache ganz zu schweigen. Doch schließlich machte ich aus der Not eine Tugend: Genau dieses Spannungsfeld zwischen kleiner, einheimischer arabischer Minderheit und migrantischer Mehrheitsgesellschaft wurde zu meinem Forschungsthema. In meiner Magisterarbeit untersuchte ich die Sprachpolitik und die Rolle des Arabischen in den VAE. In der Dissertation habe ich mich mit der emiratischen Sicht auf Migranten und Immigration beschäftigt. Und nach und nach habe ich die arabischen Golfstaaten schätzen gelernt.
Sprache öffnet Türen
Schon bei meinem ersten Aufenthalt in den VAE erwies sich mein gutes mündliches Hocharabisch als echter Türöffner zu Teilen der emiratischen Gesellschaft, von denen viele Reisende sonst kaum etwas mitbekommen. Über eine Zufallsbekanntschaft in einer arabischen Buchhandlung in Abu Dhabi kam ich mit einem emiratischen Journalisten in Kontakt. Der wiederum konnte mir – nachdem er mein Vorhaben journalistisch in einer Zeitungskolumne verarbeitet hatte – einen Interviewtermin mit einem Staatssekretär der emiratischen Bundesregierung vermitteln. Das war wirklich spannend.
Zwei Jahre später kehrte ich zurück, um an der Zayed University in Abu Dhabi für meine Dissertation weiter zu forschen. Hier ergaben sich weitere spannende Einblicke durch Kontakte mit emiratischen Studierenden, Reisen in den Oman und nach Kuwait.
Lebenslanges Arabischlernen
Kann man Arabisch perfekt beherrschen? Ja und nein. Natürlich kann man mit viel Disziplin und intensivem Training sehr weit kommen. Gleichzeitig muss man sich darüber im Klaren sein, dass das Lernen nie aufhört. Arabisch erschließt schon geographisch einen so großen Sprach- und Kulturraum, dass es einem Einzelnen niemals gelingen wird, alle Facetten und Varianten der Sprache zu kennen und alle Dialekte zu beherrschen. Hinzu kommen der reiche historische Schatz an klassischen arabischen Texten, eine sich ständig weiterentwickelnde Sprachlandschaft und nicht zuletzt die neuen digitalen Möglichkeiten der Sprachverbreitung für Hochsprache und Dialekte in journalistischen und sozialen Medien.
Bis heute begleitet mich Arabisch in meinem Berufsalltag, wenn ich dolmetsche, Fachtexte übersetze, staatliche Übersetzer- und Dolmetscherprüfungen abnehme und gelegentlich auch unterrichte. Daneben gilt nach wie vor: Dranbleiben und weiterlernen: mit arabischen Podcasts und Hörbüchern, arabischen Romanen und Filmen, beim Recherchieren von Fachtexten, beim Durcharbeiten von Dialektlehrbüchern, im Gespräch mit arabischen Muttersprachlern, beim Bloggen über arabische Sprichwörter und viele andere Themen oder auf Reisen.
Hier geht es zu Teil 1 und der Frage, warum ich überhaupt anfing, mich mit Arabisch zu beschäftigen.
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